Schwebebalken
Susanne Krell und Manfred Bogner präsentieren im Bonner Kulturzentrum Hardtberg „Schwebebalken“
- eine Rauminstallation, die mehr ist als ein Bild oder eine Skulptur, sondern die Konfrontation
mit einer verkehrten Welt.
Fluchtpunkte der Installation sind die fast unsichtbaren Nylonfäden der Hängung. Ihre Maße und
Ausmaße gehen über die bloße Berechnung und Funktionalität des Erforderlichen hinaus. Sie erhalten
selbst eine ästhetische Qualität im Raum. Vom hohen, später erst eingebauten Stützgebälk unterm
Spitzdach hinunter, über den Köpfen der Besucher, beträgt die Länge der Aufhängung inclusive der
Objekte fünf Meter, von der Spitze bis zum Boden, auf dem die Schwerkraft den Betrachter hält,
beträgt die Gesamtdistanz acht Meter. An diesem überlangen Fäden hängen die Alltagsgegenstände in
Umkehrung, aber so genau miteinander abgestimmt, wie nur irgend möglich, in einer unsichtbaren Ebene,
drei Tische und 15 Stühle, in lockeren Gruppierungen, zwischen präziser Objektinstallation und
freiem Mobile, die Beine nach oben, zum Himmel der Hängung hinauf gerichtet. Dabei gibt das
schwebende Mobiliar nicht nur ein künstlerisches Bild, ein Zeichen von verwendbaren Gegenständen
ab, mit den Spuren und Schrammen ihrer materiellen Benutzung, ihres tagtäglichen Gebrauchs. Alle
Objekte sind der Erdenschwere enthoben, an den Nylonfäden wie an einem Gespinst sorgfältig
festgeknüpft, als vom luftigen Gebälk her austarierte Massen und Gewichte, die aus der Haftung
ihres alten Kontextes in die undefinierbare Höhe entschweben. Oder sie sind kurz vor der unsanften
Landung auf dem Boden in einer Höhe von drei Meter zum Stillstand gekommen, wie durch Zauberhand,
in einer eingefrorenen Varieteenummer, die den zeitbegrenzten Schwebezustand der Magie zur
Dauersituation der Entrückung, des Entzuges, der festgefügten Schwebe macht, zum Balken im eigenen
Auge, der uns offenbart, daß wir die Konstruktion unserer Alltagswelt nach Regeln zimmern, die die
Kunst mit ihren verblüffenden Gestaltungsmitteln jederzeit außer Kraft setzen kann.
Krell und Bogner verändern die Koordinaten des architektonischen Raums. Sie verschieben den Focus
dieses wunderbar offenen Gebäudes, des in seiner Geschichte so vielerlei geselligen und künstlerischen
Zwecken dienlichen, schmucken Gehäuses, das mich in meiner Duisdorfer und Bonner Jugend immer ein
wenig an die künstlerische Faltung einer Lebkuchenverpackung erinnert hat.
Der Schwerkraft zu trotzen, dies gelingt den Kindern im Traum, und Dichter, Maler und Filmemacher
haben uns dies und werden uns dies immer wieder erfolgreich demonstrieren.
Selbst auf einem großformatigen Bild oder einer plastisch-skulpturalen Collage an einer senkrechten
Wand ist der Effekt, den die Künstler uns bescheren, nicht so intensiv. Der Anblick ist immer eine
Aufsicht, unsere Sinnesorgane bleiben stabil, die Augen mögen uns allein durch die Anlage der
Komposition, den Rhythmus der Elemente, die Anordnung der Farben und Formen übergehen. Die
Gestaltung und die Erfahrung der Kunst bleibt insofern einem mehr oder minder übersichtlichen
Bildraum verpflichtet.
Aber Krell und Bogner streben eine radikalere Erfahrung eines Raumbildes an und deshalb haben sie
auch auf jedes Schwelgen mit dem schwebenden Material, auf jeden stärkeren gestalterischen Eingriff
am Objekt verzichtet. Alles bleibt so, wie es ist, und doch ist es ganz anders allein durch das
Arrangement einer weitläufigen Hängung, die sich über uns im Raum wölbt.
Wenn man so will, ist ihre Kunst der fast unmerklichen Umgestaltung des Erfahrungsraums Architektur
nicht nur eine visuelle, formale Operation, ein Arbeiten mit optischen Ornamenten und Formaten. Darin
geht ihr Ansatz über die klassische Moderne hinaus und ist insofern allen Künstlerinnen und Künstlern,
die sich mit dem Projekt des Environments befaßt haben, verpflichtet.
Vielmehr ist ihre Kunst räumlich und zugleich körperlich, ja in diesem Falle geradezu sportlich gemeint,
ein Akt auf dem Schwebebalken, auf dem sich die Turnerinnen und Turner ja auch bar jeder größeren
optisch erfaßbaren Bewegungsfläche in eng abgezirkelten Figuren und kraftvollen Balanceakten auf einer
ganzheitlich, vor allem körperlich-muskulär wahrzunehmenden Linie halten müssen.
Krell und Bogner geht es um die Wiederentdeckung der leiblichen Anstrengung des Sehens und Wahrnehmens
in einem künstlerisch umgestalten Alltagsraum, der außeralltägliche Dimensionen enthüllt. Um die
Dialektik von leibhafter Anspannung und Konzentration, um die ästhetische Eroberung von sinnlichen
Perspektiven und geistigen Haltepunkten durch eine meditative Anwesenheit an einem bestimmten Ort.
Die zweigeschössige Hängung - mit dem Abstand von drei Metern zwischen den Objekten und dem Boden und
der Distanz von fünfMetern zwischen den Gegenständen und dem Dachgebälk - schafft einen bodenlosen Korridor
der Gegenstände und Gruppen, die luftige Landkarte einer Gegenwelt, an der wir Bodenbeobachter uns neu
ausrichten müssen. Der erhobene Kopf entautomatisiert die Gewohnheit des Betrachters. Der stolze,
aufrechte Gang des Museums- und Galeriebesuchers wird aus dem Takt gebracht. Das Gesehene kostet Mühe,
der Bewegungs- und Sehapparat verliert die Koordination. Das Bild vom Stuhl, der Überblick aus der
Unterperspektive impliziert einen Salto Mortale in der Verkehrung des Objekts. Wir sehen, fast greifbar,
was wir nicht mehr benutzen können, verdreht und müssen uns dabei doch selbst verbiegen. Die
Sitzgelegenheit im festgebannten Flug vor dem kahlgefegten Tisch, von dessen vernutzter Platte alle
Diesseitigkeit des Alltags abgefallen ist. Wir fliegen mit dem Blick und stehen angestrengt im Raum.
Wir erfahren uns selbst als festgebannte Objekte und erleben das Ende der Zuhandenheit der Dinge, die
unser Augenmerk auf die labyrinthische Anarchie des Gebälks am Himmel lenken, der wie ein magnetischer
Puppenspieler sich gegen die Gewohnheiten der Lebewesen am Boden verschworen hat. Den Raum und die Höhe
sinnlich erfahrbar zu machen in der subtilen Verschiebung der physischen, ästhetischen und sozialen
Achsen und Orientierungen, das ist Susanne Krell und Manfred Bogner hier und jetzt in einer neuen Kunst
am Ort gelungen.
Peter V. Brinkemper