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wasser brot und kunst
War da was am legendenumwobenen 29. des Monat Februar in
Neuruppin? Ja, da war was:
Im Vorderhaus des Kulturhaus Neuruppin gleich beim Rheinsberger Tor gelegen
fand im Atelier der Künstlerin Susanne Krell ein Abend der besonderen Art
statt. Rund um einen großen Tisch mit frisch aufgeschnittenem Brot, mit
Wasserflaschen unterschiedlicher Konsistenz und vielen Gläsern saß eine lebhafte
und interessierte Gesellschaft. Fontane hätte seine Freude daran gehabt. Denn so
viele waren gekommen, aus Neugierde oder mit dem Wunsch, einmal mehr zu den Themen
der Kunst zu erfahren und vor allem zu sprechen und sich dabei kennenzulernen.
Susanne Krell hatte zu ihrem achten Abend in der Reihe WASSER, BROT
und KUNST geladen, die den Gesprächen über Kunst, Kunstmachen und Kunstgenießen
und vor allem zu einer leibhaftigen Vorstellung eines von Susanne Krell
eingeladenen Gastes und dessen Arbeit gewidmet sind. Diesmal war es der Künstler
MIKOS MEININGER, der seit 2006 in Potsdam lebt und arbeitet, wo er 2009
gemeinsam mit dem Bildhauer und Musiker Chris Hinze das Kunsthaus sans
titre gegründet hat.
MIKOS MEININGER zog nach einer Ausbildung als Plakatmaler nach
Ost-Berlin und begann 1987 im subkulturellen Künstlerkreis um Maximilian
Barck zu arbeiten.
Charakteristisch für den Kreis war das Künstlerbuch,
u.a. die bibliophile Literatur- und Kunstzeitschrift HERZATTACKE.
In kleinen Auflagen produziert, boten sich hier in der DDR nicht
„lizenzpflichtige“ künstlerische Freiräume. Beteiligte Autoren
und bildende Künstler waren beispielsweise Lothar Böhme, Johannes Heisig,
Elke Erb, Durs Grünbein, Strawalde und viele andere.
1989 begann MIKOS MEININGER ein Grafikdesign-Studium in Berlin.
Seit der erfolgreichen Ausstellung Junge Kunst aus Berlin
Ost in der Galerie Kostka in Paris im April 1990
arbeitete MIKOS MEININGER freischaffend als Maler und Grafiker in Berlin
und dann in Potsdam. Sein Werk umfasst Druckgrafik, oft für aufwändige Künstlerbücher zu
befreundeten Schriftstellern, ungegenständliche Malerei und figurbetonte Plastik
im Bronzeguss und anderen Materialien.
Es zeigte sich, dass Mikos Meininger, wohl beflügelt durch die behutsame
Art von Susanne Krell ihn vorzustellen, sich wunderbar öffnete und von sich
und seiner Arbeit erzählte: Wie das Material für ihn eine so große Rolle spielt
bei der Ideenfindung, wie er manchmal dem Tun seiner eigenen Hände zuschaut,
wie er Objekte entwickelt, die sich quasi als surreale Kommentare zur Wirklichkeit
ausnehmen. Er sprach so unprätentiös und lebendig von seinem Schaffen und zog damit
die Zuhörer mehr und mehr in seinen Bann.
Das anschließende Gespräch über Sinn und Zweck der Kunst und des
künstlerischen Schaffens entwickelte sich mit vielen Beiträgen unverstellt und
spontan und mündete in ein gemeinsames Nachdenken über Kunst und ihre Wahrnehmung
bis hin zu der Frage, welche Eigenschaften überhaupt grundlegend und berechtigt
sind, dass Kunst entsteht und wie diese zu fördern sei. Selten genug über eine
solche Frage nachzudenken. Der erstaunliche Gesprächsfluss führte bis zu Schillers
Gedanken zur ästhetischen Erziehung, also dahin wo der Mensch spielt, frei
von Notwendigkeit und Pflichten. Herausgekommen ist am Ende ein in sich gewundenes
und starkes Tischgespräch, ein Art Grundlagengespräch zur Kunst, das durchaus
noch länger hätte dauern können.
Hier noch eine kurze Retrospektive zu den vorangegangenen Veranstaltungen:
Die erste fand im Januar 2015 KUNST UND ERINNERUNG statt - mit Dr.
Helmut Herles, ehem. Chefredakteur des Generalanzeigers Bonn,
danach folgten im Juli 2015 KUNST UND RELIGION - Dr. Guido Schlimbach,
Kunststation Sankt Peter Köln, im März 2016 KUNST UND ARCHIV - Dr. Claudia
Kauertz, damals Leiterin des LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrum (LVR-AFZ),
Pulheim-Brauweiler, dann im Mai 2017 KUNST UND VERBINDEN - Dr. Dieter Ronte,
ehem. Leiter des Kunstmuseum Bonn und im April 2018 KUNST UND GEDÄCHTNIS - Dr.
Gabriele Uelsberg, damals Leiterin des LVR-LandesMuseum Bonn.
Seit 2021 lebt und arbeitet die Künstlerin Susanne Krell in Neuruppin
und hier entwickelt sie auch die Reihe weiter, jeweils in ihrem Atelier als
Gastgeberin, bisher mit der Jenarer Kunsthistorikerin Dr. Anne-Katrin Hinz ,
Universität Bonn zum Thema KUNST UND ORTE und dem Neuruppiner Lehrer, Heizer,
Aktivist und Politiker, DJ und Schinkelpreisträger Wolfgang Freese
zum Thema KUNST UND AUFBRUCH und zuletzt mit Mikos Meininger, Kunstmacher
und Kunstfördernder zu KUNSTMACHEN UND FÖRDERN.
Text: Ingrid Lucia Ernst
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wasser brot und kunst
Am 25. Januar 2023 fand der siebte Abend in der Veranstaltungsreihe wasser brot und kunst
im Susanne Krell Studio im
Neuruppiner Kulturhaus Stadtgarten statt. Zu Gast dieses Mal Wolfgang Freese | Lehrer, Heizer, Aktivist und Politiker, DJ
und Schinkelpreisträger 2022. Vor allem aber sieht er sich als einen der drei Gründer des JFZ (Jugend Freizeit Zentrum)
Neuruppin. Dessen Gründung fand in den Räumen des Kulturhauses Stadtgarten statt. In einem dieser Räume ist heute das
Atelier von Susanne Krell.
Es wurde eng in Susanne Krells Atelier. Zahlreiche Interessierte waren gekommen, um den Erzählungen Wolfgang Freeses zu
lauschen und mit ihm ins Gespräch zu kommen. Seit der erfolgreichen friedlichen Revolution in der DDR versteht Wolfgang
Freese sich als 89iger. Mit seinen Erfahrungen als ehemaliger Bürger der DDR, in der Zentralismus, Diktatur und politische
Willkür herrschten, erlebte er eine Zeit des Aufbruchs auch in dem Raum, in dem die Veranstaltung stattfand. Es ist ein Ort
der Erinnerung, des Gedächtnisses, der Geschichte für viele Menschen in Neuruppin.
Immer wieder ist es eine Freunde Wolfgang Freese zuzuhören. Die Begeisterung, mit der er in den 80iger Jahren scheinbar
Unmögliches mit Aktivität und Tatkraft umgesetzt hat, ist immer noch präsent. Wie aus einer fernen Welt kommen die Anekdote
rüber, die sich um den Erwerb seiner Spielerlaubnis als „staatlich geprüfter Schallplattenunterhalter“ (liebevoll Pappe
genannt. Seit den X. Weltfestspielen der Jugend und Studenten 1973 in Ostberlin, versuchte sich die DDR als moderner Staat
darzustellen, indem u.a. auch Voraussetzungen für die Arbeit von DJ geschaffen wurden. Als Folge davon war jede Gemeinde
(in der Theorie) verpflichtet, den Jugendlichen einen Klub, zumindest aber einen Raum zur Verfügung zu stellen. Als die
Räumlichkeiten im Rosengarten den Jugendlichen nicht mehr zur Verfügung standen, sahen Wolfgang Freese und 2 Mitstreiter
die Chance, etwas einmaliges auf die Beine zu stellen. Ohne Auftrag erarbeiteten sie ein Konzept (einschließlich
Kostenvoranschlag) für einen Jugendklub im Stadtgarten. So etwas hatte es bis dato in der DDR noch nicht gegeben und
noch unvorstellbarer: es wurde genehmigt, nachdem sich eine bunte Mischung von 80 bereit erklärt hatten, das
Vorgeschlagene auch umzusetzen, bis nach kollektiver Arbeit am 30 April 1983 das JFZ eröffnet werden konnte. Dass eine der
ersten Veranstaltungen ein Kongress zur Sozialistischen Fest und Feiergestaltung war, bei der die Jugendlichen zum
Kartenabreissenund an der Garderobe Dienst leisten sollten, hat die Stimmung zwar getrübt, konnte den Erfolg jedoch
nicht verhindern.
Der sozialistische Alltag wurde häufig klug umschifft, beispielsweise als wegen vermeintlicher Einsturzgefahr der Decke
das Tanzen untersagt wurde -hier half ein auf freundliche Weise von der Berliner Bauakademie erstelltes Gegengutachten- oder
ein Artikel im legendären Eulenspiegel, der ebenfalls auf durch Initiative und das Glück im rechten Moment die richtige Peron
zu treffen, zustande kam.
Von den vielen Sternstunden, die in den Räumen des jetzigen Ateliers stattfanden seien nur einige erwähnt: eine
ungewöhnlich offen geführte Debatte mit Funktionären Ende 1988, Jazzsängerin Pascal von Wroblewsky weint vor Glück über
ein ungewöhnlich schönes Konzert auf dem Sofa (da wo heute das Materialregal steht), Rosenstolz spielt vor der Balkontür
vor 20 Zuhörern (wenig später spielten Sie vor 30.000). Stets ausverkaufte Konzerte mehrten den Ruhm des JFZ als Eldorado der
(lauten) Musik, so dass die Vorpremiere des 1988 von der DEFA produzierten Rockreports "flüstern & SCHREIEN" im Kinosaal
stattfand.
Wolfgang Freese ist jedoch nicht nur JFZ, viele Stationen seines bewegten Lebens mussten (leider) unerzählt bleiben.
Diese und tangierende Fragen wurden lebhaft diskutiert wie in den vorangegangenen Veranstaltungen in Aegidienberg/Rheinland. Der ersten im Januar 2015 mit Helmut Herles folgten im Juli 2015 Guido Schlimbach, im März 2016 Claudia Kauertz, dann im Mai 2017 Dieter Ronte und im April 2018 Gabriele Uelsberg. 2021 ist die Veranstaltung zusammen mit der einladenden Künstlerin Susanne Krell nach Neuruppin umgezogen. Die erste Eingeladene hier war die Kunsthistorikerin Dr. Anne-Katrin Hinz Bonn/Jena. Weitere Veranstaltungen sind in der Planung.
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wasser brot und kunst
Am Samstag der Offenen Ateliertage fand der sechste Abend in der Veranstaltungsreihe wasser brot
und kunst im Susanne Krell Studio im Neuruppiner Kulturhaus Stadtgarten statt. Dr. des. Anne-Katrin Hinz,
Kunsthistorikerin an der Universität Bonn stand nach einigen einführenden Worten einer Diskussion zur Verfügung.
Diesmal war das Thema Kunst und Orte. Die Eingangsfrage war das Verhältnis von Kunst und Ort oder Orten; von Orten und Kunst
und der KunstORT, also das Atelier, das Museum, der öffentliche Raum und Ähnliches.
Ganz grundlegend gesprochen ist ein Ort etwas Stabiles, etwas Unbewegtes, vielleicht ist er auch nur ein Punkt. Orte haben
unterschiedliche Funktionen: sie trennen, sie vereinen, sie dienen der Begegnung, dem Flüchtigen, dem Anonymen, der Erinnerung,
sie dienen dem Durchgang, dem Transit.
Auch in der bildenden Kunst hat der Ort eine spezielle Funktion: Kunst benötigt einen räumlich definierten Ort, um in Erscheinung
zu treten. Das kann, wie wir heute an verschiedenen Formen der zeitgenössischen Kunst sehen, auch ein virtueller Raum sein.
Traditionell handelt es sich dabei aber um einen physischen Ort. Dieser Erscheinungsort von Kunst wird wiederum von anderen Orten
abgegrenzt, z. B. in dem er, wie das Museum, spezifisch für die Präsentation von Kunst geschaffen wurde, oder wie das Atelier als Ort
der künstlerischen Produktion definiert wird.
Gerade das Atelier ist ein besonderer Ort der Kunst. Es ist ein Ort der künstlerischen Praxis, an dem Ideen umgesetzt werden und
das meist unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Aber das Atelier ist – und das sehen wir heute und an diesem Wochenende im Rahmen der
Offenen Ateliers – auch ein sozialer Raum, an dem Besucherinnen und Besucher, Auftraggeberinnen und Auftraggeber, Sammlerinnen
und Sammler, andere Künstlerinnen und Künstler empfangen werden und einen Einblick in die künstlerische Praxis erhalten. Trotz dieser
zeitweiligen Öffnung bleibt das Atelier wie so viele andere Räume ein abgegrenzter und teils auch verschlossener Ort. Dieses Definieren
und Abgrenzen eines Ortes ist ein fundamentaler kultureller Akt.
In einigen ortsbezogenen Kunstwerken geht es immer auch um eine Benennung und ein Aufzeigen von An- und Abwesendem. Das heißt,
es werden im Werk Dinge mitgedacht, die wir sehr wahrscheinlich an dem physischen Ort, auf den sie verweisen oder an dem sie auch
entstanden sind, nicht sehen können. Dennoch haben sie (diese Dinge unterschiedlichster Art – soziale, historische etc.) die Funktion
und die Erscheinung des Ortes bestimmt.
Um diesen Aspekt des An- und Abwesenden zu verdeutlichen, bietet sich wohl das Beispiel der Denkmäler oder Mahnmale an. Sie erinnern
an einem bestimmten Ort, der z. B. historisch determiniert sein kann, an eine Person oder Ereignis der Vergangenheit. Aber häufig werden
wohl die Spuren des Ereignisses, an das erinnert wird, nicht sichtbar sein. Und auch die Erinnerung an eine Person wird häufig auf nicht
mehr greifbare oder nicht unmittelbar präsente Taten verweisen oder auch auf Verdienste ideeller Art zielen.
In der Diskussion wurde der Ortsbegriff noch weiter präzisiert. Beginnend mit der Vorstellung, wie Neuruppin ausgesehen haben mag,
bevor sich dort Menschen angesiedelt haben, mitten im Wald? War Neuruppin damals schon ein Ort? Oder erst nach dem ersten Spatenstich?
Es kam sogar die Idee auf, in einer Kunstaktion -ähnlich wie es Künstler bereits gemacht haben, die alte Ansichten auf neue Häuser
projiziert haben- den Wald, der der Siedlung Platz machen musste auf die Fassaden zu projizieren. Könnte das unseren Blick auf den
Ort verändern?
Unweigerlich kam das Gespräch angesichts der im Susanne Krell Studio ausgestellten 33-teiligen Arbeit Lviv Ukraine 2019,
reinterpreted -angereichert durch Schilderungen der Künstlerin von ihrem Arbeitsaufenthalt dort- die Frage auf, wie kann Kunst
dazu beitragen, Kultur dem Verschwinden und Vergessen zu entziehen. Auf dem Schlachtfeld von Jena und Auerstedt haben die
Künstler*innen Janet Cardiff und George Bures Miller einen Audiowalk entwickelt, der authentisch, ja fast schon
beeindruckend nahbar das grausame Schlachtgeschehen vermittelt. Christos Verpackungen -bespielsweise des Berliner
Reichstags- sind ein treffendes Beispiel, wie die Aufmerksamkeit auf einen Ort gelenkt wird. Können sich die Betrachter überhaupt
bewusst machen, wie es unter der Plane aussieht, erinnern wir uns an Gebäude, die plötzlich durch Abriss unserem Blick entzogen werden,
können wir uns noch orientieren, wenn wie im letzten Jahr weite Waldflächen abgeholzt werden, unser seit langer Zeit gespeichertes Bild
des Ortes fundamental verändert wird.
Diese und tangierende Fragen wurden lebhaft diskutiert wie in den vorangegangenen Veranstaltungen in Aegidienberg/Rheinland. Der
ersten im Januar 2015 mit Helmut Herles folgten im Juli 2015 Guido Schlimbach, im März 2016 Claudia Kauertz,
dann im Mai 2017 Dieter Ronte und im April 2018 Gabriele Uelsberg. Jetzt ist die Veranstaltung zusammen mit der
einladenden Künstlerin Susanne Krell nach Neuruppin umgezogen. Weitere Veranstaltungen sind in der Planung.
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wasser brot und kunst
Am Freitag fand der fünfte Abend in der Veranstaltungsreihe wasser brot und kunst im Atelier Susanne Krell in Aegidienberg statt. Dr. Gabriele Uelsberg, die Direktorin des Rheinischen Landesmuseums Bonn stand nach einigen einführenden Worten einer Diskussion zur Verfügung. Diesmal war das Thema Kunst und Gedächtnis. Die Eingangsfrage war: Wie definiert sich Gedächtnis? Es ist mehr als Erinnerung, Gedächtnis geht viel tiefer. Was im Gedächtnis ist bleibt.
Am deutlichsten wird das bei dem Begriff kollektives Gedächtnis. Diskutiert wurde an zwei Beispielen: 9/11 und der Fall der Mauer sind als Ereignis im kollektiven Gedächtnis verankert. Hier sind kollektive Bilder entstanden. Zusätzlich haben die meisten Menschen ebenfalls eine persönliche Erinnerung daran, in welcher Situation sie von diesen Ereignissen erfahren haben. Oft sind dies Erinnerungsbilder im Kopf.
Wie wichtig schon immer Bilder gewesen sind, und wie wechselhaft ihre Geschichte, machte Uelsberg am Neandertaler im LVR-Landesmuseum deutlich. In spanischen Höhlen sind erst kürzlich Malereien wie Tierformen entdeckt worden, die aus jener Zeit stammen. Sie müssen aus dem Gedächtnis heraus gezeichnet worden sein, direkt auf die Höhlenwand. Ihr Sinn wird im Verborgenen bleiben, aber sicher wollte man etwas erhalten, etwas sollte nicht verloren gehen, möglicherweise im Sinne einer Vorstufe von Kommunikation.
Untrennbar mit dem kollektiven Gedächtnis verbunden sind Bilder. Kunst hat, seit sie in Erscheinung getreten ist, immer dazu gedient, das kollektive Gedächtnis zu bilden.
Besonders augenfällig ist dies bei Denkmälern und Gebäuden mit öffentlichem Charakter. Denkmäler werden errichtet um ein Ereignis im Gedächtnis zu behalten.
Die Widersprüchlichkeit solcher kollektiver Bilder zeigte sich am Beispiel einer Architektur von 1937, dem Haus der Kunst in München. Die Entstehungszeit und ihr Konzept ist physisch spürbar in diesem Gebäude. Angesprochen wurde die Frage, ob diese Situation erhalten bleiben sollte oder nicht oder wie eine zeitgemäße Veränderung aussehen könnte.
Dabei kam auch die Sprache auf den Palast der Republik in Berlin. Hier wurde ein kollektiver Gedächtnisort zerstört, es bleibt nur mehr sein Bild.
Der Mensch braucht Bilder, sie sind notwendig für das Gedächtnis, man hat ein Bild im Kopf, das mehr sagen kann als Worte. Was man nicht mit Sprache ausdrücken kann gelingt vielleicht mit einem Bild. Künstlerinnen und Künstler können dafür Bilder finden.
Diese und tangierende Fragen wurden lebhaft diskutiert wie in allen Veranstaltungen seit der ersten im Januar 2015 mit Helmut Herles. Im Juli 2015 folgte Guido Schlimbach, dann im März 2016 Claudia Kauertz und im Mai 2017 Dieter Ronte.
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wasser brot und kunst // Dieter Ronte im Gespräch
„Kunst und Verbinden“ war das vierte Thema, zu dem Susanne Krell in ihr Aegidienberger Atelier einlud. Die Diskussionsreihe __wasser brot und kunst fand damit ihre Fortsetzung.
Der Tisch war voll. Bei Wasser und Brot brachte Prof. Dieter Ronte, ehemaliger Direktor Kunstmuseum Bonn, lehrend, schreibend, sammelnd, organisierend, redend, auf vielfältigste Weise in Sachen Kunst unterwegs, mit einleitenden Worten eine Diskussion in Gang.
Historisch gesehen ist Kunst prädestiniert, ein verbindendes Element zu sein. Stichwort ist hier die Herkunft aus religiösen Ritualen. Seit Martin Luther wurde die Frage gestellt, inwieweit Abbildungen noch von Nöten seien. Diese Fragen und die Erfindung des Individuums in der Zeit der Renaissance brachten Veränderung.
Kunst ist extrem individualisierend geworden. Hier Verbindungen zu schaffen ist im musealen Ausstellungskontext selten der Fall. Es wurde diskutiert, dass darauf kaum Rücksicht genommen wird, indem die unterschiedlichsten Postionen unverbindlich nebeneinander stehend präsentiert werden und sich gegenseitig wenig Raum zum Atmen lassen.
Die Ursachensuche nannte einerseits den hohen Grad der Kommerzialisierung im Kunstbusiness. Es geht nur noch ums Geld, war eine Meinung. Teure Kunst, die sich von der Allgemeinheit entfernt hat, steht im Blickpunkt der Sammler und der Öffentlichkeit.
Andererseits werden durch unzählige Vorschriften, durch extreme Verteuerung von Bildrechten und Versicherungen Museen und Künstler_Innen sehr eingeschränkt in ihren finanziellen Handlungsspielräumen. Dagegen gibt es zahlreiche Versuche, Menschen in Ausstellungen zu locken durch Angebote wie Speedführungen und Mittagspausen mit Lunchpaket. Kunst bekommt Eventcharakter.
Aber auch die Unverständlichkeit vieler zeitgenössischer Kunst, die kaum mehr einen spontanen Zugang zuläßt, schafft Distanz. Die Bereitschaft, sich mit komplexen Dingen auseinander zusetzen, hat ebenfalls abgenommen – zu wenig Zeit wird oft genannt.
Die Teilnehmer_Innen allerdings blickten postiv in die Zukunft und meinten, dass Kunst trotz schwieriger Umstände den Menschen formt und viele, besonders auch kleine Aktionen unterschiedlichster Art, Verbindungen schaffen können und Wirksamkeit haben.
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wasser brot und kunst // Claudia Kauertz im Gespräch
„Kunst und Archiv“ war das dritte Thema, zu dem Susanne Krell in ihr Aegidienberger Atelier einlud. Die Diskussionsreihe __wasser brot und kunst fand damit ihre Fortsetzung.
Gesprächspartnerin war Frau Dr. Claudia Kauertz, Leiterin des Sachgebiets Archivberatung im LVR-Archivzentrum in Brauweiler. Von dort aus werden die knapp 600 nichtstaatlichen Archive im Rheinland beraten. Kauertz stellte die gesellschaftliche Aufgabe von Archiven vor: Auswahl von Überlieferungen, Ordnen und Verzeichnen, Bewahren und Bereitstellen zur Nutzung. Was ins Archiv kommt, wird laut Gesetz „für immer“ aufbewahrt.
Das würfelförmige Glasobjekt „Kassanda“, gefüllt mit Papierschnipseln aus geschredderten, nicht archivwürdigen Unterlagen war Diskussionsobjekt. Wenn man genau schaute, sah man zwischen den Papierstreifen vergoldetes Hadernpapier aus dem 18. Jahrhundert, das von Krell mit dem Schreddergut vermischt worden war. Gold zwischen dem Müll: Was werfen wir unwiederbringlich weg? Kassanda ist der Fachbegriff für aussortierte Unterlagen, die vernichtet werden. An diesem Objekt ließen sich verschiedenste Aspekte des Archivierens und die sich daraus ergebenden Konsequenzen und Verantwortungen erörtern.
Was bewahren wir von unserer Wirklichkeit? Gesellschaftliche und historische Wirklichkeit wird beim Archivieren geschaffen. Das, was wir erhalten, bleibt und bestimmt unsere kulturelle und persönliche Identität.
Gemeinsam stellten Kauertz und Krell anhand von Bildprojektionen die 14 Installationen vor, die Krell in der Recherche in verschiedensten Archiven, wie dem Adelsarchiv Ehreshoven, dem Karnevalsarchiv in Köln, dem Stadtarchiv Aachen oder dem Erzbischöflichen Archiv Köln erarbeitet hat. Das komplexe Kunstprojekt war 2015 in der Abtei Brauweiler unter den Titel „BEWAHREN – Archvlandschaft Rheinland“ zu sehen.
Eine Urkunde von 1018, historische Stadtpläne, Besitzurkunden, Telefonrechnungen und die neuen Herausforderungen, Digitales zu archivieren und damit die übergroße Fülle der Materialien wurden in einem spannenden Gespräch zwischen Archivarin, Künstlerin und Besucherinnen und Besuchern diskutiert.
Zum Abschluss wurde der von Manfred Bogner gestaltete, mit eindruckvollen Fotos versehene Katalog zum Kunstprojekt vorgestellt. Themengemäß liegt die Publikation in einem echten, säurefreien Archivkarton – „für immer“.
Die Diskussionsreihe wird fortgesetzt und jeder Interessierte ist herzlich eingeladen.
Link: General Anzeiger Bonn vom 18.03.2016
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„Kunst und Religion“ war das zweite Thema, zu dem Susanne Krell in ihr Aegidienberger Atelier einlud und mit dem aktuellen Abend die fortlaufend geplante Diskussionsreihe __wasser brot und kunst weiterführte.
Impulsgeber war Guido Schlimbach, in Köln geboren, Theologe, Sozialarbeiter und hauptamtlich Pressesprecher bei der Aidshilfe NRW. Neben seiner ehrenamtlichen Tätigkeit als künstlerischer Leiter der Kunst-Station Sankt Peter Köln ist er als Kurator von Kunstausstellungen, Referent für Theologie und Kunst sowie als Autor tätig. Insbesondere in der Kunst-Station Sankt Peter und im Kunstmuseum Kolumba in Köln bietet er regelmäßig Gespräche zu Fragen der Kunst an. Er ist im Dialog zwischen Glaube und Kunst ein gefragter Gesprächspartner.
Schlimbach sprach als eloquenter Redner vom Wandel der Bedeutung von Kunst im kirchlichen Kontext. Er selbst zeige gerne zeitgenössische Kunst in Sakralräumen, da diese Orte Künstlerinnen und Künstler durch ihre besondere Aura anregen und so Brücken geschlagen würden zwischen Religion und Kunst.
Über viele Jahrhunderte war die Kirche ein Hauptauftraggeber für Künstler, dabei oft auch ein Initiator des künstlerischen Fortschritts. Diskutiert wurde über die Anfang des 19. Jahrhunderts von der Institution Kirche festgelegte neugotische Form der Kirchenarchitektur im Rheinland bis zum aktuellen Fenster von Gerhard Richter im Kölner Dom, welches oft nicht gegenständlich genug empfunden wird.
Historisch festgelegte Bilder bestimmen manches Mal die religiösen Bild-Vorstellungen von Menschen, wie Susanne Krell am Beispiel des (eigentlich nie gesehenen) Engels darlegte. Wieder erkennbare Bilder fehlen heute vielen Menschen. Schlimbach sprach vom „Fremdeln mit zeitgenössischer Kunst“, nicht nur im kirchlichen Bereich.
Heute entsteht Kunst häufig im Widerstreit mit dem Selbstzweifel der Künstlerinnen und Künstler. Daraus können authentische zeitgenössische Kunstwerke entstehen, die keine Nachahmungen sind und kein Kitsch, der moralisch nicht haltbar wäre.
Schlimbach stellte als Theologe die Frage: Was lerne ich von Kunst? Er betrachte es als ein Geschenk, was die Künstler anbieten.
Es ergab sich eine ausgesprochen spannende Diskussion über Gewissheit und Wahrheit unter reger Beteiligung der Besucherinnen und Besucher.
Im Herbst ist ein weiterer Abend der offenen Diskussionsreihe in Planung zum Thema „Kunst und Kommerz“.
externer Link: General Anzeiger Bonn vom 10.07.2015
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„Kunst und Erinnerung“ war das erste Thema mit dem Susanne Krell in ihrem Aegidienberger Atelier gemeinsam mit der Kunsthistorikerin Gudrun von Schoenebeck den ersten Abend der fortlaufend geplanten Diskussionsreihe
wasser brot und kunst
eröffnete.
Helmut Herles, in Böhmen geboren, aufgewachsen in der DDR, langjähriger FAZ-Korrespondent und ehemaliger Chefredakteur des General-Anzeigers in Bonn erzählte im Gespräch mit Gudrun von Schoenebeck aus seinem hoch ereignisreichen Leben. Drei Drehpunkte waren wichtig in der Erinnerung. Eine davon, eine dramatische Begegnung mit einem russischen Soldaten im Alter von fünf Jahren, die ihn entscheidet geprägt hat und ihn trotz oder wegen der Tragik des Ereignisses zu einem überzeugten Demokraten und Kriegsgegner hat werden lassen. Das Schreiben über dieses Erlebnis, also ein künstlerischer Prozess verhalf der Entwicklung dorthin.
Gudrun von Schoenebeck stellte Künstler vor, die bewusst Erinnerung thematisieren, wie Gunter Demnig mit den Stolpersteinen, die er auch in Bad Honnef verlegt hat oder Gregor Schneider, der den Schutt von Goebbels' Rheydter Geburtshaus in Warschau und Berlin ausstellte.
Die diskussionsfreudigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer brachten persönliche Beispiele der Erinnerungsarbeit ein und Susanne Krell beschrieb ihre Arbeit mit Steinen, die einen ästhetischen Anlass für eine Reaktion im Betrachter bieten können.
Kann Kunst Anlass zur Erinnerungskultur sein und in welcher Form ist das möglich? Erinnerung als Denkmal, authentische Orte, die Stichworte kollektive Erinnerung und private Erinnerung, die Verführbarkeit durch konstruierte Erinnerung und visuelle Verfügbarkeit von Orten durch Apps waren Thema.
Ein Zitat von Meistermann „nach vorne Bewahren“ schloss den Abend.
Weitere Abende der offenen Diskussionsreihe sind in Planung wie zum Thema „Kunst und Kommerz“ sowie „Kunst und Religion“. Dazu wird im Juli ein Abend mit Dr. Guido Schlimbach, Leiter der Kunststation Sankt Peter in Köln stattfinden.